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Die Ninja gelten als geheimnisumwobene Schattenkrieger des japanischen Mittelalters. Vieles, was darüber in der populären (Fach-)Literatur zu lesen ist, bedarf der Hinterfragung. Man ist mit seinem Buch „Ninja. 1,000 Years of the Shadow Warriors“ angetreten, einen seriösen und mythenfreien Beitrag über das Phänomen Ninja vorzulegen.

Das Buch ist so aufgebaut, dass der Autor die Wiedergabe von historischen Quellen (z. B. Die Kunst des Krieges, S. 8-9; die Geschichte von Jing Ke, S. 11-14; Shomonki, S. 28; Shoninki, S. 31-35) mit seinen persönlichen Entdeckungen aus Japan abwechselt. Er stützt sich dabei auf in der Übersetzung vorliegenden Originalquellen (z. B. Cummins/Minami; Turnbull) aus verschiedenen Jahrhunderten der japanischen Geschichte. Auf diese Weise identifiziert Man die erste Erwähnung des Begriffes „Ninja“ für das Jahr 1488 (S. 93). Darüber hinaus entwickelt er so ein Bild vom Leben, Wirken und den Idealen der historischen Ninja.

Das andere Standbein seiner Arbeit sind Gespräche, die er auf seiner Reise ins japanische Hinterland mit Experten sowie mit Nachfahren von historischen Ninja führte (z. B. S. 1, S. 129). Damit folgt Man auch hier seiner bekannten Arbeitsweise, historische Erzählungen mit persönlichen Erfahrungen zu kombinieren.

Grundlegende These von Man ist, dass Ninjutsu als Kunst der Ninja – zumindest zu der Zeit (1681) als das Shoninki (neben dem Ninpiden (1560) und dem Bansenshukai (1676) eine der wesentlichen Schriften über die historischen Ninja) verfasst wurde – keine Kampfkunstdisziplin per se ist (vgl. S. 32). Vielmehr seien historische Ninja „Meister der Täuschung“ gewesen. Dieser Ansatz, auf den auch bereits eine frühere Quelle hinzuweisen scheint, wurde kürzlich auch von Cummins/Minami (u. a. 2011) vertreten: Laut einem Eintrag aus dem Japan-Handbuch von Ramming (1941), der vermutlich auf einem Beitrag von Rumpf (1929) basiert, ist das Ninjutsu „[u]rsprünglich lediglich ein Zweig des Diebes- und Räuberhandwerks“, das im 12. Jahrhundert zu „einem Werkzeug der Kriegsspionage umorganisiert“ wurde. Zu den Eigenschaften der im „Kundschafterwesen“ geschulten gehörten demnach unter anderem „Gewandtheit, Selbstbeherrschung [und] Körperkraft“.

Man kritisiert damit deutlich diejenigen Kampfkunstadepten, die sich in einer unwidersprechlichen Linie mit den historischen Ninja sehen (vgl. S. 242), und wagt sich mit dieser Kontroverse in ein offensichtliches „Minenfeld“ (S. 243). In diesem Zusammenhang versucht Man Wahrheit und Fiktion voneinander zu trennen und betrachtet die sogenannten Ninja-Boomphasen; angefangen mit den Kinderbüchern um Sarutobi Sasuke (1911-1925), einem Roman um eine „pseudo-historische“ Ninjaschrift (1958) bis hin zu Hollywood (vgl. S. 243) und den „Ninja Turtles“ (vgl. S. 246), alles Quellen die dem Autor zufolge einen wesentlichen Einfluss auf das heutige Ninjabild gehabt haben. Als eine zentrale Figur identifiert Man den britischen Schriftsteller Ian Fleming (1908-1964), der die Ninja-Figur mit seinem Roman „You Only Live Twice“ (1964) erstmalig dem breiten westlichen Publikum bekannt gemacht hat (vgl. S. 233ff).

Auf der Suche nach dem letzten lebenden Ninja nennt Man allerdings keinen der vielleicht zu erwartenden Namen (vgl. u. a. Adams, 1970; Oi, 2012), sondern erzählt die Geschichte von Hiroo Onada, der als Schüler der Rikugun Nakano Gakkō – Ausbildungsstätte der japanischen Armee während des 2. Weltkrieges, die auch nachweislich das Unterichtsfach Ninjutsu lehrte – seinem Auftrag und sogenannten Ninja-Idealen folgend auch nach Kriegsende beinahe 30 Jahre im Dschungel der philippinischen Insel Lubang ausharrte (vgl. S. 248-278).

Ein Schwachpunkt des Buches ist das Fehlen eines roten Fadens. Die einzelnen Kapitel bauen nicht immer aufeinander auf, sondern wirken vielfach zusammenhanglos. Bei den zahlreichen historischen Rückblicken gewinnt der Leser immer wieder den Eindruck, dass Man zu weit vom eigentlichen Thema abweicht. Während die Quellenwiedergabe über weite Strecken sehr trocken ist, lockert der Ausflug in die Folklore das Buch erfreulicherweise auf. Mehr davon hätte dem Buch sehr gut getan.

Das Quellenverzeichnis ist recht umfangreich und auf den Punkt. Man greift häufig auf aktuelle Bücher zurück, die den gegenwärtigen Stand der Forschung dokumentieren. Der Rückgriff auf Wikipedia (vgl. S. 125) fällt dagegen denkwürdig aus. Dass einige wenige der dargestellten Fakten nicht korrekt bzw. vollständig sind, ist an den entsprechenden Stellen zu vernachlässigen.

Als Historiker und Reiseschriftsteller mit Abschlüssen von der Oxford University (Geschichte und Philosophie) und der School of Oriental and African Studies (Mongolische Sprache) hat Man bereits eine Vielzahl von Büchern zu ostasienbezogenen Themen verfasst: Genghis Khan: Life, Death and Resurrection (2005), The Great Wall: The Extraordinary Story of China’s Wonder of the World (2008), The Leadership Secrets of Genghis Khan (2009), Samurai: The Last Warrior (2011). Für die erfrischende Tatsache, dass Man bisher nicht als Autor von Büchern über das Ninja-Thema in Erscheinung getreten ist und sich relativ objektiv und von Verbandspolitiken unbeeindruckt dem Phänomen nähert, legt Man alles in allem eine äußerst solide Arbeit vor.