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Verena Hopp hat Japanologie, Fachübersetzen Englisch und Zeitgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg studiert. Mit 13 Jahren hatte sie zum ersten Mal Sumo im TV gesehen und ist seitdem fasziniert von Japans Nationalsport. In ihrer Magisterarbeit von 2010 („Sumo heute: Aktueller Stand, Probleme und Zukunftsperspektiven“) hat sie sich mit der aktuellen Situation des japanischen Sumo auseinandergesetzt. Heute arbeitet sie in der Tokyo Riverside School, Sprachschule für Japanisch, wo sie Sumo lehrt. Nebenher ist sie als Sumo-Scout tätig. Zusammen mit Stephen Gadd, Generalsekretär der Europäischen Sumo Union, hat sie einen Sumo-Amateur aus Ägypten in das Ōtake-Beya, einem bekannten japanischen Sumo-Stall, vermittelt. Neben ihren Sprachschülern betreut Hopp auch Journalisten, Forscher und Menschen, die Praktika in Japan machen möchten.

Frau Hopp, Sie haben Ihre Magisterarbeit über das Sumo geschrieben. Woher kommt Ihre Begeisterung am japanischen Sumo?

Die Begeisterung kam ganz ursprünglich sicher aus dem Herzen des jungen Mädchens im ostdeutschen Dorf, welches von der großen weiten Welt träumte. Mein Papa sagte immer: „Mache das, was kein anderer macht und schau dir die Welt an. Wir durften damals nicht, in der DDR haben sie es uns verboten!“ – Warum sich also nicht voll und ganz Sumo zuwenden? Die Rückendeckung hatte ich jedenfalls. Ich war in jener Nacht vollkommen überrascht, als ich da beim Zappen plötzlich Sumo auf dem Schirm hatte. Unter anderem sah ich Konishiki, der absolut gewaltig wirkte, hörte Begriffe, Namen, Erklärungen, war vollkommen überfordert, was meinen Ergeiz weckte. Es war völlig fremd. Klar, man hatte mal was davon gehört, aber gesehen? Die witzige und zugleich sehr interessante Art, wie Alexander von der Groeben kommentierte, hat gewiss auch dazu beigetragen, dass ich „kleben blieb“. Sein Buch „Sumo, Kampf der Giganten“ vom Verlag Dieter Born war dann auch die erste gedruckte Literatur, die ich mir zulegte. Mit Internet und Englisch war zu der Zeit noch nicht viel … Gelesen, getan – ich war vollkommen begeistert und wollte mehr und noch mehr über Sumo lernen. Heute, 15 Jahre später (mein Gott, was bin ich alt …), arbeite ich da, wo ich seither wollte. Ob ich irgendwann eine Doktorarbeit zu Sumo schreibe, das steht noch nicht fest. Bücher jedenfalls werde ich veröffentlichen. Momentan zieht es mich jedoch stark in die Belletristik …

Womit haben Sie sich in dieser Arbeit beschäftigt?

Sumo befindet sich im Grunde bereits seit den 1970er Jahren in einer Krise, von Boom-Phasen unterbrochen. Der Großteil der bestehenden Literatur wurde während der Boom-Phasen (Personenkult um einzelne populäre Sumoringer und deren Rivalitäten) herausgebracht, was die gegenwärtige Lage noch immer als rosig erscheinen lässt, während Sumo heute um das Überleben kämpft. Hier wollte ich ergänzen, flog nach Japan und stellte eine Umfrage an alle Heya, welche die Ursachen der krisenhaften Entwicklung weiter erhellen sollte, um vor allem auch Lösungsansätze zu finden. Wer sein Fach liebt, der will nicht, dass es aus welchen Gründen auch immer verschwindet.

Immer weniger junge Japaner wollen Sumoringer werden, dies hat viele Gründe. Eine der wichtigsten Ursachen ist der gesellschaftliche (Werte-)Wandel in Japan und Sumos „Inkompatibilität“ damit. Neben der Überalterung der Gesellschaft und der allgemeinen Landflucht, welche die Gruppe der potenziellen Anfänger schmälert (so waren und sind es noch immer häufig die Nicht-Erstgeborenen Söhne kinderreicher Familien vom Lande), sind weiterhin die geringen Erfolgschancen als Aktiver und die noch schlechteren Zukunftschancen der Erfolglosen nach der aktiven Karriere, zu benennen. 60 Prozent der von mir Befragten traten (wie allgemein üblich) gleich nach der Beendigung der Pflichtschulzeit (Mittelschule) in die Sumowelt ein, während 98 Prozent eines Jahrgangs in Japan sogar die Oberschule besucht … Wer mit diesem Mittelschulabschluss nach der aktiven Karriere, die noch dazu viele Verletzungen mit sich brachte, älter als alle anderen Bewerber, versucht, eine geregelte Arbeit zu finden, der hat es sehr schwer.

Verstärkt wurden diese Ursachen noch durch zahlreiche Skandale der vergangenen Jahre, die alle stark am Image von Sumo als Institution nagten. Da es vor allem Minderjährige sind, die in die Sumowelt eintreten, haben die Eltern das letzte Wort. Sein Kind in eine solch augenscheinlich ungewisse Zukunft zu entlassen ist gewiss keine leichte Entscheidung, auch wenn der Jungspunt  selbst Feuer und Flamme sein sollte … So sagte mir Nishikido Oyakata im Interview, dass seine Aufgabe als Trainer heute im Gegensatz zur Vergangenheit das Überreden der Eltern miteinschließt. Früher, da konnten sich die Teams vor Bewerbern kaum retten.

Wie ist die Quellenlage für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sumo?

Da ich mich lange mit Sumo befasste und die Quellen bereits gut kannte, entschied ich mich bewusst dafür ergänzend meine eigenen Daten zu sammeln – besonders, da sie so neu wie möglich sein mussten. Vor meiner Abreise zur Feldforschung suchte ich den Kontakt zu der Japanologin, die das wichtigste Werk der vergangenen Jahre herausgebracht hatte, an welches ich nahtlos anknüpfen konnte: „Sumo: Internationalisierung des japanischen Sports“ von Sabine Adolph. An dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Dank für das Telefonat und die hilfreichen Tipps. Ebenso Frau Anne Beer, meiner Komilitonin und Freundin, die mich und mein Sumo all die Jahre unterstützend begleitete.

Heute sind Sie unter anderem als Sumo-Scout tätig. Was machen Sie da genau?

Wenn ich Jungen zum Beispiel auf Kindersumoturnieren begegne, die das Zeug zum Rikishi haben, dann spreche ich sie und ihre Eltern an, das kommt jedoch sehr selten vor. „Sumo-Scout“ ist nicht als Beruf zu sehen. Im konkreten Fall Oosunaarashi ging es „ganz einfach“. Er stellte sich und seinen Wunsch Profi in Japan zu werden im internationalen Sumoforum vor, Herr Gadd, der ihn schon von den Amateuren kannte und ich, die mit Herrn Gadd bereits befreundet war, waren die beiden Personen, die ihm Mut machten und die Sache letztendlich mit ihm in Angriff nahmen. Ich hatte durch die Forschung und meinen Working Holiday-Aufenthalt in Japan mein Sumo-Netzwerk und wusste, wen wie zu kontaktieren. Nicht zu vergessen, konnte ich so halbwegs Japanisch. Boody, so sein Spitzname, dann nach Japan verbringen und den richtigen Leuten vorzustellen, folgte. Trotz die Aktion belachender Leute, dem schlimmen Erdbeben im März 2011 und vieler Kleinigkeiten, die fast noch einen Strich durch die Rechnung gemacht hätten, hat am Ende alles geklappt. Gott sei Dank. Oosunaarashi jedenfalls strengt sich an und hat die Möglichkeit bald in die zweite Liga aufzusteigen – die Grenze zu überspringen, die „den Himmel“ und „die Hölle“ der Sumoringer voneinander trennen.

Sumo zählt neben Baseball als Nationalsport Japans. Warum denken Sie, ist Sumo so beliebt in Japan?

Ist es nicht mehr, wie Umfragen und der halb leere Kokugikan („Halle des Nationalsportes“ – Sumo Arena), beweisen. Sumo ist Japans Nationalsport. Baseball der beliebteste Sport. Sumo gilt als wohl traditionellste japanische Sportart bzw. Lebensweise, während Baseball klar als „aus Amerika kommend“ begriffen wird und vor beziehungsweise während des Zweiten Weltkrieges als solches abgelehnt worden war.

Welchen Einfluss hatte der Zustrom nicht-japanischer Sumotori auf den Sport?

Viele verschiedene … Unsereins hätte sich nie dafür begeistern können, wäre es nicht im deutschen TV gelaufen, was auch damit zu tun hat, dass Sumo begann sich zu internationalisieren (siehe Adolph). Ebenso hat sich das internationale Amateursumo besonders deshalb verbreiten können, wurde wiederum selbst zur Rekrutierungsmöglichkeit weiterer Ausländer. Kaum ein interessanter Kampf in der ersten Liga mehr ohne ausländische Beteiligung. Dies scheint positiv. Viele Stimmen in Japan indessen, auch Oyakata (Sumo-Trainer) meinen, dass die scheinbare Übermacht der Ausländer die körperlich unterlegene japanische Jugend abschrecke.

Zuletzt war von einer Krise des Sumo zu hören. Was steckt dahinter?

Wenn die Presse von der Krise des Sumo spricht, meint sie lediglich die vergangenen Jahre, was faktisch nicht korrekt ist. Bereits im Buch von Takamiyama (Hawaiianer, erster Ausländer im Sumo) aus den 1970er Jahren ist von einer Krise zu lesen. Er beschrieb den besagten gesellschaftlichen Wandel und die unsichere Zukunft, neben der Härte des Lebens der Sumoringer als Ursachen. Die vielen Skandale trugen mit dazu bei, das immer weniger Jungen in Heya eintraten. Nichts davon, was es nicht schon Jahre und Jahrzehnte zuvor gegeben hätte, nur der Verbreitungsgrad und die sich mit der Zeit verändernde Sichtweise der Japaner auf zuvor noch als normal Angesehenes, bzw. nicht Bewiesenes, waren anders. Besonders wurde hier die Macht der Presse als Organ ersichtlich. Da Aktive noch dazu altersbedingt zurücktraten sank die Anzahl der Aktiven beträchtlich. Eine Umkehrung dieser Zahlen wird in Japan vom japanischen „Yokozuna“ (höchster Rang im Sumo) abhängig gemacht, den es seit Jahren nicht gibt, ein neuer japanischer Superstar muss also her, der jedoch nicht in Aussicht ist. Warum ist man sich sicher, dass der neue japanische Superstar alles richten wird? In den frühen 1990er Jahren war es mit den Brüdern und Wakanohana und Takanohana, im Waka-Taka-Boom bereits geschehen. Die Halle war voll, kreischende (vor allem weibliche) Fans, viele Jungs, die ihren Idolen nacheifernd in die Sumowelt eintraten. Das ganze Land fieberte mit, denn diese beiden traten faktisch für Japan gegen die starken Hawaiianer an … heute haben zwei Mongolen das Heft in der Hand und wenn es nach mir geht, in einigen Jahren auch ein Ägypter.

Für mich macht der Sumoverband einen entscheidenden Fehler, den auch ganz Japan macht – Ausländer als Fans, sprich Konsumenten, Arbeitskräfte, Einwohner … werden noch immer gern übersehen und man hält am Althergebrachten fest, weil man Angst vorm Neuen hat. Die vielen Möglichkeiten jedoch, die mit den Ausländern und ihren Ideen, nicht nur der Kaufkraft kommen, die sollte man doch endlich anerkennen und nutzen! In einer Sprachschule für Japanisch zu arbeiten und Schüler zu betreuen bedeutet sich mit Menschen unterschiedlichster Kulturen und Denkweisen auseinander zu setzen. Was kann es aufregenderes geben als sich gegenseitig zu entdecken … ich bin heute nicht mehr „nur“ Japanologin, wie Sumo nicht mehr „nur“ Japans Nationalsport ist.

Das Foto wurde freundlicherweise von Verena Hopp zur Verfügung gestellt.