Heiko Bittmann und Peter Kuhn (Hrsg.)
Karatedō Kyōhan Lehrmuster des Weges der leeren Hand. Heidelberg, Werner Kristkeitz 2021, 382 Seiten, ISBN 978-3-948378-15-8
Rechtzeitig zu Weihnachten 2021 ist die erste deutsche Übersetzung von Funakoshi Gichins drittem Buch, Karatedō Kyōhan (空手道教範, 1935), erschienen. „Lehrmuster des Weges der leeren Hand“ wurde von Werner Kristkeitz in Heidelberg verlegt, ein Verlag, der sich einen Namen damit gemacht hat, Literatur zu Zen, Buddhismus und asiatische Kampfkunst zu publizieren.
Fast zwei Jahre lang war ein Projektteam unter der wissenschaftlichen Leitung der Hochschulprofessoren Heiko Bittmann und Peter Kuhn, Sportwissenschaftler und ausgewiesene Experten auf dem Gebiet, damit befasst, das Buch zu übersetzen und in zahllosen Kommentaren und Fußnoten auf über 30 Seiten in den entsprechenden historischen und sportwissenschaftlichen Kontext zu rücken.
Funakoshi Gichin (船越義珍, 1868-1957) gilt für viele als „Vater des modernen Karate“, wenn auch der Ursprung dieser Begriffsschöpfung bis dato nicht eindeutig zurückverfolgt werden kann. Sein literarisches Schaffen (neben insgesamt fünf Büchern hat er auch eine Vielzahl von weiteren Publikationen veröffentlicht) sowie sein unermüdliches Wirken waren entscheidend dafür, die Popularität des Karate in Japan enorm zu steigern und für dessen Verbreitung zu sorgen.
Karatedō Kyōhan gilt als repräsentatives Werk Funakoshis aus dieser Zeit und ist zugleich „eine der wichtigsten frühen Publikationen zum Karatedō“ überhaupt, wie die beiden Herausgeber in ihrer Einführung feststellen. Das Buch wurde erstmalig im Jahr 1973 von Ōshima Tsutomu (大島劼, geboren 1930) auf Grundlage der japanischen Neuauflage von 1958 ins Englische übersetzt. Die englische Übersetzung der Erstauflage von 1935 wurde von Harumi Suzuki-Johnston 2005 erstellt.
Aber warum jetzt eine deutsche Übersetzung direkt vom japanischen Original? Bittmann und Kuhn beantworten dies unter anderem damit, dass Funakoshis bedeutendes Buch bislang nicht auf Deutsch vorlag. Weitere der von ihnen angeführten Argumente für ihre vorliegende Arbeit sind ebenfalls stichhaltig. Tatsächlich gibt es viel zu wenig gute wissenschaftliche fundierte Arbeiten auf Deutsch. Wenngleich seit vielen Jahren im angloamerikanischen Sprachraum eine Vielzahl von progressiven Werken vorliegen, die mit Mythen und fehlerhaften Interpretationen aufräumen, sind im deutschsprachigen Raum nur vereinzelte Wegbereiter auszumachen (hervorzuheben beispielsweise die Arbeiten von Heiko Bittmann und Henning Wittwer). Vielfach wird bei der Beschäftigung mit dem Karate leider zu oft auf Arbeiten aus den 1990er Jahren verwiesen. Diese weisen aber zumeist historische Ungenauigkeiten sowie eine Unkenntnis der japanischen Sprache auf und sind nicht zuletzt dadurch auf verschiedensten Ebenen fehlerhaft und irreführend.
Auf diesen Umstand hatte bereits der Japanologe Andreas Niehaus treffenderweise in seiner Besprechung zu Bittmanns Publikation „Karatedō. Der Weg der leeren Hand. Meister der vier großen Schulrichtungen und ihre Lehre“ (1999) im Jahr 2000 hingewiesen. Er konstatierte seinerzeit, dass vor allem fundierte japanologische Arbeiten gefragt sind.
Dazu gehört jetzt unzweifelhaft das vorliegende Werk. Es setzt Maßstäbe in der Übersetzung von zeitgenössischer Kampfkunstliteratur und sorgt entscheidend dafür, Karate-Praktizierenden sowie Interessierten ein besseres Verständnis für die historischen Hintergründe und die Entwicklung des japanischen Karate zu vermitteln. Dafür sei den Bearbeitern des vorliegenden Buches gedankt. Das Buch ist eine sehr solide Arbeit. Dessen Lektüre ist uneingeschränkt zu empfehlen.
Thomas Feldmann, Diplom-Regionalwissenschaftler,
Studium der Ostasienwissenschaften
in Duisburg und Sōka (Japan)