Neben einigen Zeitungsartikeln aus Hawai’i aus den 1920er Jahren, die sich hauptsächlich an die lokale japanische Leserschaft richteten, war das Life Magazine vom 13. Oktober 1947 einer der ersten englischsprachigen Artikel über das Karate (japanisch: 空手), der sich an ein Massenpublikum richtete. Der Artikel trägt den Titel „Gentleman’s sport. The upper classes in Japan revive old game of bare-fisted violence“ (Sport des Ehrenmanns. Die Oberschicht in Japan lässt das alte Spiel der Gewalt mit bloßen Fäusten wieder aufleben) und stellt Studenten des Waseda University Karate Club (japanisch: 早稲田空手) vor, der 1931 unter der Leitung von Funakoshi Gichin (船越義珍, 1868-1957) gegründet wurde.
So weit, so gut. Was aber bis heute kaum jemand wusste, ist, dass es bereits 1927 einen Artikel in einer französischen Sportzeitschrift gab, der ein Foto von Funakoshi Gichin beim Unterrichten junger Mädchen zeigte. Das Foto in der Zeitschrift L’As: tous les mois, tous les sports (deutsch: Das As: jeden Monat, jede Sportart) vom November 1927 illustriert einen kurzen Text mit dem Titel „Les Japonaises se mettent au jiu-jitsu“ (deutsch: Japanische Frauen nehmen Jiu-Jitsu auf). Wahrscheinlich war dem Autor nicht bewusst, dass es sich bei diesem Foto eigentlich nicht um jūjutsu (jap. 柔術) handelt, das damals in Europa recht bekannt war, sondern um das Karate, das Funakoshi 1922 mit aufs japanische Festland brachte. Doch wie konnte es zu dieser Verwechslung kommen?
Das Foto ist in Karatekreisen bekannt. Es wird von der internationalen Fotoagentur Getty Images angeboten, trägt den Titel „Judo Fighters At The Kodokan Institute In Tokyo On September 19Th 1927“ und kann dort zur weiteren Verwendung lizenziert werden. Das Foto ist Teil der Keystone-France/Gamma-Keystone-Kollektion, die von Getty Images seit 2011 angeboten wird. Gamma-Keystone enthält eine beeindruckende Sammlung von Bildern aus den späten 1920er Jahren bis zur Jahrtausendwende mit mehr als 750.000 Fotos.
Der Verleger (oder der Autor) hat also 1927 das Foto von Keystone-France wahrscheinlich ohne weitere Überlegungen verwendet. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine Szene am Kōdōkan (jap. 講道館) Institut, bekannt als Schule von Kanō Jigorō (嘉納治五郎, 1860-1938), der in seiner Jugend verschiedene Stile des jūjutsu studierte und das moderne jūdō (jap. 柔道) begründete. Auf jeden Fall ist dies ein großartiger Fund und zeigt einmal mehr, dass durch ambitionierte historische Arbeit immer wieder neue Entdeckungen gemacht werden.
Ein Exemplar des französischen Magazins von 1927 befindet sich in der Sammlung des britischen Kampfkunsthistorikers Graham Noble, der es gefunden hat und HOPLOblog erlaubte, diese Informationen öffentlich zu machen. Dafür gebührt ihm ein großer Dank!


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