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Es besteht eine gewisse Faszination an frühen Beschreibungen der einheimischen Kampfkünste von Ryūkyū in der westlichen Literatur. Die Übersichten sind zahlreich. In diesem Zusammenhang denken wir sicherlich an die von Basil Hall (1818) erwähnte “boxer’s position of defence“ (dt. „Verteidigungsstellung des Boxers“), dem von Ernest M. Satow (1873) beschriebenen “well-trained fighter“ who “can smash a large earthen water-jar, or kill a man with a single blow of the fist“ (dt. „gut trainierten Kämpfer“, der „ein großes irdenes Wassergefäß zerschlagen oder einen Mann mit einem einzigen Faustschlag töten kann“), sowie die von William H. Furness (1899) erwähnten jungen Männer, die „occasionally engage in boxing bouts“ (dt. „gelegentlich Boxkämpfe bestreiten“). 1818 wird in Herbert J. Cliffords Vocabulary of the Language Spoken at the Great Loo-Choo Island das Verb „to quarrel“ mit „Titskoong“ übersetzt. Und Bernard J. Bettelheim in seinem English-Loochooan Dictionary (1851), das ich im Januar 2020 diesbezüglich ausgewertet habe, werden die englischen Ausdrücke „to box“, „to box with the fist and kick with the feet“ und „to fight with fists“ ähnlich in die Ryūkyūanische Sprache übersetzt. 

Ein Hinweis, der meines Wissens in all diesen Berichten immer gefehlt hat, stammt jedoch aus dem Tagebuch von Blanche Tilton Bull (1874-1961). Das Original befindet sich in der Bibliothek der Universität von Ryūkyū, aber glücklicherweise hat Carolyn Bowen Francis 1994 das Tagebuch herausgegeben und unter dem Titel „An American woman in Okinawa: Blanche Tilton Bull diary: 1911-1913„. Hier finden wir folgende interessante Passage:

Dienstag, 26. Dezember 1911: „… the barber gave an exhibition of boxing …“ (dt. „der Barbier zeigte eine Boxvorführung“) (laut einer Notiz vom 28. Februar 1912 gab es ein Foto von diesem Barbier, das meines Wissens aber noch nicht gefunden werden konnte.

Über Blanche Tilton Bull: Sie kam am 11. November 1911 mit ihrem Mann, dem Reverend Earl Rankin Bull (1876-1974), in Okinawa an. Beide wurden von der Methodist Episcopal Church aus den Vereinigten Staaten als Missionare entsandt, um mit den okinawanischen und japanischen Christen in den methodistischen Kirchen auf Okinawa zusammenzuarbeiten. Blanche verließ Okinawa am 11. Juni 1913, gehörte aber zu den wenigen Ausländern, die die Gelegenheit hatten, einen Blick auf die Ryūkyūanischen Kampfkünste der 1910er Jahre zu werfen. Wer wäre da nicht gerne dabei gewesen?