Home

Martin Minarik: Im Gleichschritt des Dao. Zur Performativität von Normen, Werten und Idealen in der Taekwondo-Praxis in Südkorea. transcript Verlag 2022, 325 Seiten, ISBN978-3-8376-5913-9

Dass im koreanischen Taekwondo (태권도) – wie auch in anderen Kampfsportarten – Normen, Werte und Ideale eine Rolle spielen, steht außer Frage. Welche das sind, wie diese verkörpert werden und wie derartige Prozesse im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse verortet werden, untersucht der Bewegungswissenschaftler Martin Minarik in seinem Buch anhand der Taekwondo-Praxis in Südkorea. Minarik hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Philosophie, Ostasienwissenschaft und Geschichte in Bielefeld und Wien studiert und am Institut für Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg (Arbeitsbereich Kultur, Medien und Gesellschaft) promoviert. Neben seiner Forschungstätigkeit trainiert er seit vielen Jahren Taekwondo. 

Martin Minariks Buch, bei dem es sich um die überarbeitete Fassung seiner Dissertation handelt, ist in sieben Teile gegliedert. In Kapitel 1, der Einleitung, blickt er auf die Martial Arts (Kampfkunst oder Kampfsport) als ein Forschungsfeld und gibt einen Überblick über seine forschungsleitenden Fragen sowie dem Aufbau der Arbeit. Kapitel 2 beschreibt die institutionelle Struktur, Geschichte und den Spirit (als „Konglomerat von Normen, Werten und Idealen“) des Taekwondo. Kapitel 3 erarbeitet die theoretische Grundlage für die empirische Auseinandersetzung mit dem Thema, der im Kapitel 4 methodologische Vorüberlegungen folgen. 

Kapitel 5 beschäftigt sich mit einem Fallbeispiel, in dessen Fokus die Trainingspraxis des Taekwondo am Beispiel einer Schule steht, in dem der Autor einen Blick auf den Trainingsort (Dojang, hangul 도장, hanja 道場), die Akteure sowie das Training wirft. Diese Fallstudie wurde während eines Forschungsaufenthalts 2015/6 über einen Zeitraum von insgesamt vier Monaten in Seoul (Südkorea) in Form einer teilnehmenden Beobachtung durchgeführt. Im sechsten Kapitel setzt der Autor seine „performativitäts-ästhetische Analyse“ – resultierend in einem „selbstreferentiellen Taekwondo Spirit“ – mit von ihm zuvor ausgearbeiteten „institutionellen Taekwondo Spirit“ in Beziehung. Als einen wesentlichen Einfluss auf das frühe Taekwondo identifiziert Minarik einen Budō-Diskurs, zu dem auch der Jūdō-Begründer Kanō Jigorō (嘉納 治五郎, 1860–1938) beigetragen haben soll. In diesem Zusammenhang würde ein besserer Rückgriff auf die bereits im zweiten Kapitel gut beschriebenen (weiteren) historischen Einflussfaktoren helfen, wie das Karate von Funakoshi Gichin (船越 義珍,1868–1957), der durch seinen eigenen (von Kanō losgelösten) Diskurs Einfluss auf das Werteverständnis im koreanischen Taekwondo gehabt haben wird. 

Im abschließenden siebten Kapitel stellt Minarik dann seine Ergebnisse vor, in deren Zentrum die Erkenntnis steht, dass es nicht einen einzigartigen Taekwondo Spirit gibt. Er stellt fest, dass Normen, Werte und Ideale sich von Fall zu Fall unterscheiden, zum Teil in wesentlichen Punkten. Das schon alleine deshalb, da sich Ausprägungen einer Taekwondo-Praxis sich „im Kontext gesellschaftlicher Diskurse und Transformationsprozesse in Südkorea kontinuierlich gewandelt“ haben, und damit auch der Spirit, der einer „Zeitlichkeit“ und einer „Räumlichkeit“ unterliegt.    

Minariks Arbeit leistet auf verschiedenen theoretischen Ebenen einen wichtigen Beitrag zum Forschungsfeld der Martial Arts Studies. Insbesondere ist sie im Hinblick auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Normen, Werten und Idealen im Bereich der Kampfkünste zu empfehlen. Es bleibt festzuhalten: Dieses Buch bietet eine interessante Analyse der Verbindung zwischen Taekwondo-Praxis und kulturellen Werten, Normen und Idealen. Minarik nutzt dafür eine breite Palette von Quellen, um ein vollständiges Bild zu zeichnen. Insgesamt ist „Im Gleichschritt des Dao“ ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Beziehungen zwischen sportlicher Praxis und kulturellen Werten, Normen und Idealen. Das Buch ist gut geschrieben, gut recherchiert und gut organisiert, und es wird sowohl für akademische Leser als auch für alle interessant sein, die sich für Taekwondo, martialische Künste und kulturelle Studien interessieren. Ich kann es ohne Bedenken weiterempfehlen.

Thomas Feldmann, Diplom-Regionalwissenschaftler,
Studium der Ostasienwissenschaften
in Duisburg und Sōka (Japan)

Werbung