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Ōtsuka Ryūnosuke Taira no Masatomo hieß früher einmal Lösch Markus und wurde in München geboren. Als er mit sechs Jahren mit dem Training des Taekwondo begann, war nicht klar, wohin seine Reise einmal gehen würde. Nach langjährigem Training des Schießens englischer Langbögen, fand er später seinen Weg zum Iaidō und schließlich auf der Suche nach einer traditionellen japanischen Koryū nach Japan. Dort wurde er Privatschüler (Uchi-deshi) des 6. Sōke der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō, Ōtsuka Yōichirō Taira no Masanori. Dieser nahm ihn später als Ziehsohn an und ernannte ihn im März 2016 zu seinem Nachfolger als 7. Sōke der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō. Damit übertrug er ihm die gesamte Leitung der Schule. Ōtsuka Ryūnosuke wurde durch diese Ernennung als erstem Nicht-Japaner die Ehre zu Teil zum Oberhaupt einer traditionellen Koryū ernannt zu werden.

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Wie schafft man es, in einer Koryū als Privatschüler aufgenommen zu werden?

Das Prinzip eines Uchi-deshi (Privatschülers) ist in der heutigen Zeit für viele schwer zu verstehen. Man muss sich dabei vor Augen führen, dass es sich dabei nicht um einen Schüler handelt, welcher einfach nur oft das reguläre Training seiner Ryūha besucht. Ein Uchi-deshi ist vielmehr ein Schüler, welcher tagtäglich unter seinem Sensei trainiert und von diesem aufgrund seines außergewöhnlichen Talents gefördert wird. Meistens wird dem Uchi-deshi auch gewährt, bei seinem Sensei zu wohnen. Oder er wohnt sehr nah bei seinem Lehrer, um eine enge Lehrer-Schüler Beziehung zu gewährleisten. Tägliches Training über mehrere Stunden unter dem eigenen Sensei stellt allerdings eine Grundvoraussetzung dar.

Um in der heutigen Zeit als Uchi-deshi aufgenommen zu werden, muss man zu allererst einmal einen Sensei finden, welcher bereit ist, so viel Zeit für einen Schüler aufzuwenden. Dies stellt ein großes Hindernis dar, da die meisten Koryū Sensei in Japan ganz gewöhnlichen Berufen nachgehen und die Kampfkunst in ihrer Freizeit ausüben. Nur ein sehr geringer Prozentsatz aller Koryū Sensei üben ihre Kampfkunst hauptberuflich aus. Koryū haben in der heutigen Zeit generell sehr wenige Schüler, mit einer stetig sinkenden Tendenz. Manche Ryūha haben gerade einmal drei bis fünf Mitglieder weltweit, den Sōke mit eingerechnet. Dies macht es sehr schwer, davon leben zu können.

Sollte man einen geeigneten Lehrer finden, welcher einen als Uchi-deshi annimmt, gilt es folgendes zu bedenken: Ein Uchi-deshi lebt entweder komplett auf die Kosten seines Sensei, oder wenn diesem dies finanziell nicht möglich ist, muss er selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen und für seine Ausbildungskosten aufkommen. Als Uchi-deshi ist es allerdings unmöglich, nebenher einer Arbeit nachzugehen, da das tägliche Trainingspensum bei sechs bis zehn Stunden praktischem und theoretischem Unterricht liegt, sieben Tage die Woche.

Die wenige Freizeit, welche einem bleibt, braucht man dringend um sich zu erholen und sich das Gelernte einzuprägen. Das Ziel einer solchen Ausbildung ist es, einen Shihan oder Nachfolger auszubilden, welcher hilft, die Schule an die nächste Generation weiterzugeben. Wenn man Uchi-deshi werden will, muss man felsenfest wissen worauf man sich einlässt. Ansonsten enttäuscht man nur sich und den eigenen Lehrer.

6. und 7. Sōke der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō bei einem Enbu(6. und 7. Sōke der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō bei einem Enbu)

Wie kommt es eigentlich dazu, als deutscher Staatsbürger einen japanischen Namen annehmen zu können?

Das passiert, wenn ein Schüler von seinem Meister als würdiger Nachfolger ausgewählt wird und hat vorrangig nichts mit der Nationalität des Schülers zu tun. In vielen traditionell japanischen Künsten und Handwerken, wie beispielsweise der Teezeremonie, Schwertschmiedekunst und Bogenbaukunst, ist es üblich, diese Kunst von einer Generation an die nächste weiterzugeben. Hierbei spielt es eine große Rolle, dass die Kunst in der Familie bleibt. In Japan herrscht zu diesem Thema allerdings eine andere Auffassung als in Europa. Während hier historisch bedingt die Blutlinie und direkte Verwandtschaft in den Fragen der Nachfolge – beispielsweise bei Königshäusern, Familientraditionen etc. – immer essentiell war, hatten die Japaner einen etwas anderen Ansatz. Wenn beispielsweise kein geeigneter Nachfolger in der eigenen Familie vorhanden war, wurde einfach ein geeigneter Schüler adoptiert und so in die Familie aufgenommen, um die Tradition fortzuführen. Selbst wenn das vorherige Oberhaupt bereits einen Sohn hatte, dieser aber kein Talent oder Interesse besaß, wurde diese Art von Adoption vorgenommen. Dies spielte in der Vergangenheit sehr oft eine große Rolle, sei es in den japanischen Fürstenhäusern oder in den Koryū, wenn es um die Regelung der Nachfolge ging. In der heutigen Zeit ist wohl eines der bekanntesten Beispiele die Firma Suzuki Motor Corporation. Der jetzige CEO der Firma, Suzuki Osamu, ist der 4. adoptierte Sohn der die Geschäfte der Firma lenkt. In anderen bekannten Firmen wie Canon, Toyota und Kikkoman ist dies auch der Fall.

In den Koryū ist eines der bekanntesten Beispiele die Tenshin Shōden Katori Shintō-Ryū. 1929 wurde ein Universitätsprofessor in die Iizasa-Familie adoptiert, nachdem er in diese einheiratete. Er wurde daraufhin zu einem sogenannten Muko-Yōshi (Adoptierter Schwiegersohn), nahm den Namen Iizasa Shūrinosuke Kinjirō an und wurde direkt zum 19. Sōke der Schule ernannt.

Eine Person, welche in Japan adoptiert wurde, wird Yōshi genannt. In meinem Fall ist das nicht anders. Ich bin ein sogenannter Ryūha-Yōshi, auch Dōjō-Yōshi genannt. Dies ist ein Schüler einer Koryū, welcher durch seinen Meister als Ziehsohn angenommen wurde. Da Ōtsuka Yōichirō, der 6. Sōke der Hokushin Ittō-Ryū, keine eigenen Kinder hat, wählte er unter seinen Schülern mich als geeignetsten Nachfolger aus und machte dies öffentlich als ich 2014 das Menkyo-Kaiden (höchste Meisterlizenz in einer Koryū) verliehen bekam. Zu diesem Zeitpunkt musste ich meinen Namen auf Ōtsuka Ryūnosuke Taira no Masatomo ändern, da es bereits den meisten Lehrern und Schülern unserer Ryūha veröffentlicht wurde, dass ich die Nachfolge unseres Meisters als 7. Sōke antreten werde. Die offizielle Ernennungszeremonie fand allerdings zwei Jahre später, im März 2016 im Nakano Sunplaza-Hotel in Tōkyō, im Beisein vieler hochrangiger Gäste anderer Ryūha, des modernen Kendōs und des 5. Sōke der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō, Chiba Hiroshi Taira no Masatane statt.

Eine Namensänderung muss allerdings nicht zwangsläufig eine Änderung des Passes beinhalten, obwohl diese vieles einfacher macht. Viele Yōshi in Japan behalten ihren ursprünglichen Namen auf dem Papier, agieren und leben aber unter ihrem neuen Namen. Eines der bekanntesten Beispiele einer Namensänderung, bei welchem der Pass nicht abgeändert wird, bietet die Hanayagi-Ryū (traditionell japanischer Kabuki-Tanz). In dieser Schule wird so gut wie jedem Menkyo-Kaiden der Familienname Hanayagi, zusammen mit einem neuen Vornamen verliehen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieses System auf viele Nicht-Japaner und sogar auf einige Japaner befremdlich wirkt und wurde des Öfteren auch darauf angesprochen und gefragt, ob es mir nichts ausmachen würde „meine Identität“ aufzugeben. Hierbei stellt sich die Frage was ist eigentlich die eigene Identität? Die Antwort hierzu fällt bei jedem unterschiedlich aus. Viele Leute würden antworten, dass die Identität bei den eigenen Wurzeln und Vorfahren liegt. Ich selbst hätte als Nachfahre einer Familie, welche ihre Wurzeln über Generationen zurückverfolgen kann, noch vor nicht allzu langer Zeit so geantwortet. Heute fällt diese Antwort allerdings anders aus. Die eigene Identität liegt nicht in den Wurzeln, da sich diese keiner aussuchen kann. Natürlich beeinflussen einen diese, aber die eigene Identität liegt vielmehr im eigenen Handeln und dem Weg, welchen man im Leben einschlägt.

Was ist die Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō und wie sieht der Unterrichtsplan der Schule aus?

Die Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō, deren Namen man grob als „Nordstern Ein-Schwertschule der Strategie“ übersetzen kann, ist eine japanische Koryū. Eine Koryū ist eine Schule der Kriegskunst, welche vor dem Jahr 1868 und der dort stattfindenden Meiji-Restauration gegründet wurde, die das Ende der Bushi-Klasse (Samurai) und der japanischen Feudalzeit einleitete.

Um als Koryū kategorisiert werden zu können, ist es außerdem essentiell, dass die Schule eine direkte Überlieferung von Generation an Generation vorweisen kann. Viele europäische Fechttraditionen, welche man heute erlernen kann, starben in der Vergangenheit aus und wurden aus Schriften und Fechtbüchern rekonstruiert. Dies ist bei den japanischen Koryū nicht der Fall. Hier wurde die Schule immer direkt von einem Oberhaupt an das nächste übertragen, ohne jegliche Unterbrechung.

Die Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō wurde in den 1820er Jahren durch den Bushi und Schwertmeister Chiba Shūsaku Taira no Narimasa gegründet, welcher als der letzte Kensei (Schwertheilige) des alten Japan genannt wird. Gegen Ende der Bakumatsu-Periode (1853-1867) war die Hokushin Ittō-Ryū die oberste der sogenannten San-Dai-Ryū, den drei größten und stärksten Schulen Japans, welche gemeinsam tausende der besten Schwertmeister des Landes hervorbrachten. Die San-Dai-Ryū waren die Shintō Munen-Ryū, Kyoshin Meichi-Ryū und die Hokushin Ittō-Ryū, wobei heutzutage nur noch die Shintō Munen-Ryū neben der Hokushin Ittō-Ryū existiert. Die Kyoshin Meichi-Ryū starb in der Shōwa-Zeit vollständig aus und existiert heutzutage nicht mehr.

Hokushin Ittō-Ryū wird als sogenanntes Sōgō-Bujutsu kategorisiert. Der Begriff Sōgō-Bujutsu bedeutet so viel wie vollständige Kriegskunst. Damit werden Ryūha bezeichnet, welche nicht nur eine Waffengattung unterrichten, sondern den Schüler auf einen Kampf auf Leben und Tod mit verschiedenen Waffen und unbewaffneten Techniken im Duell oder auf den feudalen Schlachtfeldern Japans vorbereiten.

In der Hokushin Ittō-Ryū liegt der Fokus des Unterrichts deutlich auf Kenjutsu (Schwertkampftechniken) und Battōjutsu (Schwertziehtechniken). Dies bedeutet allerdings nur, dass man sich auf diese beiden Dinge primär konzentriert. Naginatajutsu (Techniken mit einer Art Hellebarde) und Jūjutsu (Unbewaffnete Techniken) werden den Schülern begleitend beigebracht, da die Techniken sehr stark auf der Bewegungsmechanik und den Techniken, welche der Schüler im Kenjutsu Unterricht erlernt aufbauen. Beides ist allerdings sehr essentieller Bestandteil des Curriculums der Hokushin Ittō-Ryū mit vielen Kata und Techniken. Alleine das Naginatajutsu Curriculum umfasst ein Set von 29 Kata Schwert gegen Naginata, sowie Yari gegen Naginata.

Insgesamt zählt die Hokushin Ittō-Ryū 182 Omote (offene) Kata. Hierbei werden alle Kenjutsu, Battōjutsu und Naginatajutsu Kata zusammengezählt. Jūjutsu Kata sowie einige Kenjutsu und Battōjutsu-Kata bilden die sogenannten Ura (geheimen) Kata der Schule, welche nur an die besten und engagiertesten Schüler der Ryūha weitergegeben werden.

Außerdem fokussiert sich die Schule auf Gekiken, eine Form des Freikampftrainings, welche in den meisten Fällen mit Shinai und Bōgu geübt wird. Historisch gesehen wurde Gekiken von über 90 Prozent aller am Ende der Edo-Zeit aktiven Ryūha ausgeübt. Jedoch verloren die meisten Schulen dieses Wissen im letzten Jahrhundert. Auch kleine Schulen vom Lande, welche sich selbst in der Vergangenheit stark isolierten und erst im letzten Jahrhundert zu nie dagewesener Verbreitung fanden, wie beispielsweise die Katori Shintō-Ryū, verloren ihr Gekiken um die Meiji– und Taishō-Zeit. Allerdings belegen und existieren immer noch genügend historische Texte, wie beispielsweise das Gekiken Shiai Oboechō, welches Gekiken Duelle der Katori Shintō-Ryū auflistet, wobei eines sogar durch den 16. Sōke der Schule, Iizasa Shūrinosuke Morishige selbst gefochten wurde. Das Ergebnis dieses Duells ist nicht bekannt, nur Ort (Katori-Jingū) und das von Iizasa-Sōke genutzte Kamae (Chūdan). Aber selbst viele Schulen welche fast ausschließlich für ihr Gekiken und ihre starken Kenshi bekannt waren verloren dieses um die Zeit des 2. Weltkriegs herum. Dazu zählen unter anderen die Mugai-Ryū, Shintō Munen-Ryū, Shingyōtō-Ryū und Ono-ha Ittō-Ryū. Die Hokushin Ittō-Ryū gehört neben der Jikishinkage-Ryū, Nen-Ryū, Tennen Rishin-Ryū, diversen Shinkage-Ryū Linien und einigen wenigen, relativ unbekannten Ryūha zu den einzigen Schulen, welche dieses Wissen bewahren konnten. Und dies von über hundert Schulen, welche noch existieren.

Das Gekiken der Hokushin Ittō-Ryū ist weithin bekannt als der direkte Vorläufer des modernen Kendō, welches vor dem 2. Weltkrieg ausgeübt wurde. Das Kendō nach dem 2. Weltkrieg hat sich sehr stark zu einem punktorientierten Wettkampf-Budō abgewandelt und hat mit dem Gekiken der Hokushin Ittō-Ryū, von welchem es ursprünglich abstammt, abgesehen von der Ausrüstung und einigen wenigen Techniken, nichts mehr gemeinsam. Gekiken auf der anderen Seite, ist eine realitätsnahe Übungsmethode für einen Kampf, welcher mit scharfen Waffen auf Leben und Tod gefochten wird. Durch dieses harte Training, entwickelt der Kenshi nicht nur eine starke Technik, sondern auch einen starken Geist und eine starke Persönlichkeit, welche auf dem Weg des Schwertes basieren.

Das Gekiken Training der Hokushin Ittō-Ryū ist in 4 Stufen eingeteilt. In Stufe 1 werden die Kata der Schule mit Bōgu und Shinai mit Vollkontakt geübt, um die im Kata-Geiko erlernten Techniken auf den Prüfstein zu legen. Später folgt dann Stufe 2 mit dem sogenannten Uchikomi-Geiko, bei welchem der Uchitachi die ganze Zeit stupide angreift ohne sich zu verteidigen und dem Shitachi so beibringt, sich gegen die unterschiedlichsten Angriffe zu verteidigen und diese zu kontern. Dies war in der Vergangenheit essentiell, da schlecht ausgebildete Kenshi durchaus in einen Kampf auf Leben und Tod mit einem hervorragend ausgebildeten Schwertmeister verwickelt werden konnten. Also lag es in der Natur der Sache, dass der Fokus zu Beginn der Ausbildung auf dem Aufbau einer guten Verteidigung der eigenen Schüler, nach dem Prinzip von Go no Sen gelegt wurde. Nach dem Uchikomi-Geiko folgt das sogenannte Shiai-Geiko, das freie Duell Training der Hokushin Ittō-Ryū, welches Stufe 3 des Gekiken Trainings darstellt.

Gekiken-Shiai der Hokushin Ittō-Ryū(Gekiken-Shiai der Hokushin Ittō-Ryū)

Einer der gravierendsten Unterschiede ist, dass der Bōgu in der Hokushin Ittō-Ryū nur dazu dient, den Schüler vor Verletzungen zu schützen. Beispielsweise sind im modernen Kendō nur Kote, Dō und Tsuki erlaubte Trefferzonen, wohingegen im Hokushin Ittō-Ryū Shiai der ganze Körper, auch außerhalb der durch den Bōgu geschützten Zonen, valide Trefferzone ist. Auf höherem Niveau wird selbst dieser Schutz weggelassen und es werden mit Vollkontakt ohne Bōgu Duelle ausgefochten. Hierfür müssen die Schüler allerdings erst eine hinreichende Kontrolle und Technik mit ihren Waffen besitzen, damit Verletzungen vermieden werden können.

Die 4. und letzte Stufe des Gekiken Trainings der Hokushin Ittō-Ryū bildet das sogenannte Shinken-Shōbu. Bei diesem Shiai fechten zwei Meister der Schule mit scharfen Schwertern ein Duell. Hierbei geht es allerdings nicht wie beim Europäischen Fechten um das Erste Blut, sondern die Treffer werden mit Sundome ausgeführt, um die Kontrolle und Meisterschaft der eigenen Kampfkunst zu demonstrieren. Sundome bezeichnet das Stoppen des eigenen Schwertes ein Sun (ca. 3cm) vor dem Körper des Gegners. Da diese Art von Training sehr gefährlich ist und enormes technisches und mentales Können voraussetzt, wird es nur von den höchsten Meistern unserer Ryūha trainiert.

Das reguläre Gekiken Training der Schule wird jedoch mit Bōgu und Shinai ausgeführt wobei es genau wie im modernen Kendō, ein paar blauen Flecken ausgenommen, zu keinen wirklichen Verletzungen kommen kann. Alles andere ist den höherrangigen Mitgliedern und den Meistern der Schule vorbehalten.

Wo kann man die Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō erlernen?

Die Hokushin Ittō-Ryū unterhält momentan zwei Dōjō. Zum einen in Tokyo und zum anderen in München. Das Chiba-Dōjō in München wurde nach meiner Ernennung zum 7. Sōke zum Honbu-Dōjō (Haupt-Dōjō) unserer Ryūha weltweit. Das ist das zweite Mal in der Geschichte unserer Ryūha, dass das Honbu-Dōjō durch einen Sōke, aus Japan ins Ausland hinausverlagert wurde. Dies geschah als der 4. Sōke, Chiba Tsukane das Chiba-Dōjō in Japan schloss, um beruflich in der Taishō-Zeit nach Taiwan zu gehen und dort das Dōjō erneut für eine gewisse Zeit eröffnete. Später in seinem Leben kehrte Chiba Tsukane allerdings nach Japan zurück.

Das Chiba-Dōjō führte immer schon eine sehr offene Politik. In der Edo-Zeit war es das erste Dōjō einer Koryū, welches Schüler aus allen sozialen Schichten aufnahm. Nicht nur aus der Bushi-Schicht, sondern auch Bauern, Händler und sogar Frauen und Kinder. Dies stellte zu dieser Zeit eine absolute Neuheit und Ausnahme dar, führte jedoch zu einem gewaltigen Andrang an Schülern aus dem ganzen Land. Beispielsweise war es in der Jigen-Ryū aus Satsuma selbst den Frauen der Meister der Schule nicht gestattet beim Training der Schule auch nur zuzusehen. Viele Schulen hatten ähnlich strikte Vorschriften, welche die Schülerzahl auf einen Bruchteil der Bevölkerungsschicht einschränkte.

Allerdings hatten nicht nur Leute aus den Bushi-Klassen Talent in der Kriegskunst. Toyotomi Hideyoshi, der Nachfolger Oda Nobunagas, wurde beispielsweise als Bauer geboren und arbeitete sich unter Nobunaga die Karriereleiter hinauf bis er schließlich 1585 per Kaiserlichem Dekret zum Kanpaku (Regenten) Japans ernannt wurde. Das Chiba-Dōjō nahm sich solche Fälle als Leitbild und förderte Menschen mit Talent egal welcher Herkunft, was dazu führte, dass das Dōjō viele berühmte Schwertmeister hervorbrachte, welche die Schule in ganz Japan verbreiteten.

Das Chiba-Dōjō in der heutigen Zeit(Das Chiba-Dōjō in der heutigen Zeit)

Heutzutage führen wir dieses Erbe fort, mit dem Unterschied, dass sich die Schule dabei nicht mehr nur auf Japan beschränkt. Da in unserer Ryūha nur ein Shihan, welcher im Besitz des Menkyo (Chū-Mokuroku) ist und außerdem das sogenannte Dōjō-Mokuroku (Erlaubnis ein eigenes Dōjō zu eröffnen) erhalten hat, eigene Schüler annehmen darf und dazu fähig ist diese in den Techniken und der Philosophie der Schule zu unterweisen, können Dōjō der Schule auch nur von diesen geführt oder eröffnet werden. Da diese Ausbildung sehr zeitaufwendig ist und auch nicht von jedem erfolgreich abgeschlossen wird, wurden die sogenannten Dōkōkai eingerichtet. Dōkōkai bezeichnet eine feste Trainingsgruppe, welche durch einen fortgeschrittenen Schüler, dem sogenannten Kaichō (Direktor) geführt wird, der in sehr engem Kontakt mit mir oder Sendai-Sōke steht um einen stetigen Fortschritt seiner Technik zu garantieren. Der Kaichō eines Dōkōkai verpflichtet sich vertraglich dazu, mindestens zweimal pro Jahr ein Privatseminar mit jeweils über zehn Stunden bei mir zu nehmen, sowie zu mindestens einem der drei großen Jahreshauptlehrgänge, welche jährlich zweimal in München und einmal in Japan abgehalten werden, zu kommen und dort für mindestens fünf Tage aktiv zu trainieren. Außerdem organisieren die Kaichō unserer Dōkōkai ab und an Seminare in ihren Dōkōkai, damit die dortigen Schüler, die es sich finanziell nicht leisten können zu den großen Seminaren zu reisen, die Lehren auch dort direkt von mir erhalten können.

Momentan unterhält die Hokushin Ittō-Ryū sieben Dōkōkai weltweit. Diese befinden sich in der Schweiz (Basel), in Deutschland (Bonn und Osnabrück), in Portugal (Braga), in Ungarn (Budapest) in Australien (Canberra) und in Italien (Florenz).  Der Kaichō eines Dōkōkai ist befugt, Schüler in die Schule aufzunehmen und ihnen gewisse Lehrinhalte zu vermitteln. Allerdings sind diese Schüler nicht als Schüler des jeweiligen Kaichō zu verstehen, da dieser kein Shihan der Schule ist und somit keine offizielle Erlaubnis eigene Schüler anzunehmen besitzt. Sie sind Schüler der Schule, welche zusammen mit ihrem Kaichō im jeweiligen Dōkōkai trainieren. Wenn ein Kaichō das Chū-Mokuroku, die 4. Schriftrolle und den damit verbundenen Titel des Shihan (Meister) erhält, wird ihm die Erlaubnis gegeben, ein eigenes Shibu-Dōjō (Zweigstellen Dōjō) unserer Ryūha zu eröffnen (Dōjō-Mokuroku) sowie eigene Schüler anzunehmen. Ein solches Shibu-Dōjō erhält einen eigenen Namen, untersteht dem jeweiligen Shihan, welcher in diesem Falle als Kanchō (Dōjō-Oberhaupt) bezeichnet wird, und ist an das Chiba-Dōjō (Honbu) angebunden.

Es ist bekannt, dass manche Schwertschulen auch Disziplinen wie Shurikenjutsu, Bōjutsu oder gar Ninjutsu auf dem Lehrplan haben oder hatten. Gibt es Bestandteile der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō, die über die Jahre verlorengegangen sind?

Ob es Bestandteile der Schule gibt, welche über die Jahre verloren gingen, ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Ja und Nein wäre wohl die ehrlichste Antwort. Wenn es um Bestandteile des Curriculums, wie beispielsweise Bōjutsu, Shurikenjutsu, Ninjutsu oder sonstige Techniklehren geht, ist die Antwort Nein. Alle Jutsu wurden glücklicherweise bewahrt. Allerdings ist es schwer zu sagen, ob und wann Kata weggelassen wurden. Hinzugefügt wurde jedenfalls. Sogar nachweislich ein ganzes Kata-Set, die sogenannten Kaden no Kata des Omote Battōjutsu-Curriculums. Diese zehn Kata wurden von Chiba Michisaburō Taira no Mitsutane, dem 3. Sohn des Schulgründers Chiba Shūsaku entwickelt und dem Curriculum der Schule hinzugefügt.

Shurikenjutsu hatte die Hokushin Ittō-Ryū nie in ihrem Curriculum, auch wenn zwei sehr berühmte Shihan der Schule jeweils gleichzeitig noch Sōke einer Shurikenjutsu-Ryūha waren. Diese waren Kaihō Hanpei, der damalige Sōke der Ganritsu-Ryū (Shurikenjutsu) und Negishi Shōrei, der 13. Sōke der Annaka-han Araki-Ryū (Kenjutsu, Sōjutsu, Jūjutsu), welcher auch gleichzeitig der Gründer der Negishi-Ryū (Shurikenjutsu) war. Hokushin Ittō-Ryū wird daher ab und an auch mit Shurikenjutsu in Verbindung gebracht, hatte dieses allerdings nie selbst im Curriculum. Unsere Ryūha unterhält allerdings auch in der heutigen Zeit noch Beziehungen mit der Negishi-Ryū.

Wenn es darum geht, ob Lehrinhalte der Schule weggefallen sind oder sonstige Veränderungen am Curriculum der Schule in der Vergangenheit stattfanden, möchte ich hier gerne eines der schönsten Zitate meines Meisters und Vorgängers, dem 6. Sōke, Ōtsuka Yōichirōs, anbringen. „Eine Ryūha ist wie ein Fluss. Es beginnt mit einer Quelle und einem hellen Plätschern, welches immer schneller und stärker wird. Dieses Bächlein verbreitert sich weiter und weiter, fließt gemächlicher und wird letztendlich zu einem reißenden Strom. In diesen fließen andere Flüsse hinein und verändern den Fluss, dieser jedoch trägt stets denselben Namen und ist immer noch er selbst.“

Dieses Zitat umschreibt meines Erachtens sehr treffend die Schulen der japanischen Kriegskunst in ihrer reinsten und ehrlichsten Form. Wenn wir einmal alle Gründungsmythen von göttlicher Überlieferung ganzer fertiger Systeme, fernab in den Bergen trainierenden Schwertmeistern, welche von Tengu (Bergkobolden, welchen Meisterschaft in den Kampfkünsten nachgesagt wird) unterwiesen wurden und sonstigen nicht historisch und wissenschaftlich belegbaren Hochstapeleien absehen, fasst dieses Zitat die Entwicklung der japanischen Bujutsu Schulen doch ganz gut zusammen. Eine Schule ist wie ein Fluss stetiger Veränderung ausgesetzt. Die ganze Welt verändert sich laufend. Nichts weilt ewig und bleibt gleich. Dies gilt auch für alle Koryū.

Makimono der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō(Makimono der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō)

Ein sehr schönes Beispiel für stetige Veränderung in einer Koryū ist die Nen-Ryū. Die älteste, in der heutigen Zeit noch existierende Schule. Gegründet wurde sie in den 1380er Jahren durch Sōma Shirō Yoshimoto in der heutigen Präfektur Nagano. In der damaligen Zeit fokussierten sich alle Schulen vor allem explizit auf Kyūjutsu, wobei für den Nahkampf Naginatajutsu und Sōjutsu zusammenhängend mit Bajutsu trainiert wurde. Über die Jahrhunderte änderte sich auch die Kriegsführung in Japan und der Nahkampf überwog den Fernkampf. Rüstungen änderten und entwickelten sich weiter und so taten es auch die Schulen des Koryū-Bujutsu. Neue Techniken und Taktiken wurden eingeführt und mit dem Beginn der Edo-Zeit und der Entwicklung des Fukurō-Shinai, welche Kamiizumi Ise no kami Fujiwara no Nobutsuna, dem Gründer der Shinkage-Ryū in den 1540er Jahren zugeschrieben wird, nahm die Nen-Ryū dieses in ihr Training mit auf. Schon bald wurde in der Schule regulär Freikämpfe mit Fukurō-Shinai geübt. Dies führte zur Entwicklung provisorischen Schutz-Equipments, welches über die Jahre verfeinert wurde. Die Geschichte der Nen-Ryū zeigt sehr schön, wie sich eine Schule vieler veralteter Lehrinhalte, wie Kyūjutsu sowie diversen Kata, komplett entledigte und aus diesen heraus neue Kata einführte, um die Schule stark zu halten. Da sich die Schule ständig weiterentwickelte schaffte die Nen-Ryū es über die Jahrhunderte hinweg bis ans Ende der Edo-Zeit hin (Bakumatsu) eine der stärksten und berühmtesten Schulen zu bleiben, welche viele der besten Schwertmeister des Landes hervorbrachte.

Viele andere Ryūha, wie zum Beispiel die Jikishinkage-Ryū, die Ittō-Ryū und die Shinkage-Ryū, können sehr ähnliche Entwicklungen vorweisen. Sie blieben nicht umsonst über Jahrhunderte die stärksten Schulen des Landes. Damit meine ich auf keinen Fall, dass andere kleinere Schulen keine guten Leute hervorgebracht haben. Es gab immer und überall talentierte Schwertmeister unabhängig der Schule. Jedoch waren die vorher genannten Schulen im ganzen Land bekannt dafür, zahllose namenhafte Fechter hervorgebracht zu haben, welche sich auf Schlachtfeldern und in Duellen über die Jahrhunderte hinweg durch ihre Fechtkunst auszeichneten.

Allerdings ist es jedoch bei allen Ryūha sehr schwer, diese Veränderungen verifizierbar nachzuverfolgen, da normalerweise kein Sōke oder Shihan es schriftlich festgehalten hatte, wenn er Kata oder ganze Lehrinhalte veränderte oder wegließ. Man sieht es nur manchmal beim Betrachten von Makimono und anderen schriftlichen Dokumenten aus verschiedenen Generationen, dass sich Teile der Schule geändert haben oder wegfielen. Der Kern der Schule, das Gokui, auf welchem alle Lehren einer Ryūha aufbauen, musste allerdings immer bewahrt bleiben. „Die Quelle der Schule bleibt immer gleich auch wenn sich der Fluss stetig verändert. Versiegt die Quelle stirbt der Fluss.“ So ist es auch mit den Koryū.

Ich empfinde enormen Respekt gegenüber der Nen-Ryū dafür, dass sie es als derart alte Schule geschafft hat, ihre Tradition so lange stark und unabhängig zu bewahren. Einige der ersten Shihan der Hokushin Ittō-Ryū waren ehemalige Nen-Ryū Schüler, welche zu unserer Ryūha überliefen, nachdem unser Schulgründer Chiba Shūsaku auf seiner Musha-Shugyō (Kriegerwallfahrt) an den Toren der Schule anklopfte und dieser im Duell eine bedeutende Niederlage zufügte. Für unsere Ryūha war dieser Sieg der Auslöser, welcher den Namen Hokushin Ittō-Ryū im ganzen Land berühmt werden ließ.

Trotz ihrer Niederlage blieb die Nen-Ryū jedoch stark und hatte immer noch eine gute Reputation, welche sie sich bis in die heutige Zeit bewahren konnte. Das ist etwas, was ich sehr bewundere. Die Nen-Ryū kann außerdem immer noch authentisch in Maniwa trainiert und erlernt werden.

In meinem Besitz befinden sich verschiedene Dokumente meiner und anderer Ryūha, die belegen, dass diverse Kata über die Jahrhunderte weggelassen, andere jedoch hinzugefügt wurden. Änderungen dieser Art haben alle Schulen, ob sie es zugeben wollen oder nicht. Man muss nur einmal ein bisschen im japanischen Nationalarchiv stöbern, schon stößt man auf viele Dokumente, welche von Änderungen aller Art berichten. Nur ist es leider so, dass nur sehr wenige Ryūha das Selbstbewusstsein dazu haben, dies öffentlich zu diskutieren. Viele sehen es heutzutage als Schandfleck an, wenn man auch nur davon spricht, dass gewisse Lehrinhalte über die Jahrhunderte wegfielen oder abgeändert wurden. Besonders wenn Schulen in ihrer Gründungsgeschichte göttliche Überlieferung eines bereits vollständigen Systems angeben (was bei sehr vielen Schulen der Fall ist). Dass diese Entwicklung allerdings die Normalität ist und sich alles über Jahrhunderte hinweg verändert, daran denkt heutzutage kaum einer mehr. Natürlich ist es das wichtigste Ziel eines Oberhauptes, die eigene Schule unverfälscht an die nächste Generation weiterzugeben, allerdings werden immer minimale Änderungen stattfinden, von Generation zu Generation. Aber solange das Gokui der Schule unverändert weitergegeben wird, überlebt die Ryūha authentisch. Selbst wenn manche Lehrinhalte wegfallen oder sich ändern.

Was empfehlen Sie jemanden, der eine alte traditionelle japanische Kampfkunst erlernen möchte?

Ich würde ihm oder ihr empfehlen, sich erst einmal gründlich zu informieren. Dies bezieht sich nicht nur auf oberflächliche, geschichtliche Informationen über den Gründer der Tradition, oder die Zeit in welcher diese gegründet wurde. Sich eine Koryū auszusuchen und zu meistern, bedeutet ernsthafte Hingabe zu einer Sache und Gruppe von Leuten, mit welcher man von jetzt an einen großen Teil seines Lebens verbringen wird. Es gibt ein paar Kriterien, nach denen ich Neueinsteigern empfehlen kann vorzugehen.

Meines Erachtens ist es wichtig, sich erst einmal darüber klar zu werden, was man eigentlich machen und erreichen möchte. Wenn es nur darum geht, Bushi zu spielen, ist jedes drittklassige Dōjō der richtige Anlaufpunkt, egal ob dort eine echte Koryū unterrichtet wird, eine Gendai-Ryūha (Schule welche nach 1868) gegründet wurde, oder gar eine selbsterfundene Schule ohne Tradition und Geschichte, welche von jemandem, der einfach mal rein zufällig ein Schwert in die Hände bekam, frei erfunden wurde. Wenn man allerdings das Original erlernen und trainieren möchte, muss man sich erst einmal über den geschichtlichen Hintergrund der Schule informieren. In der heutigen Zeit gibt es viele gute japanisch-, englisch- und deutschsprachige Bücher, welche sich mit der Thematik Koryū befassen. Sie vermitteln dem Laien ein relativ gutes Bild, welche Ryūha alt und authentisch sind.

Denn leider gibt es auch in Japan viele Hochstapler, welche Märchen erzählen, dass ihre Schule zum Beispiel in den 1960er Jahren zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich unterrichtet und sonst nur im Geheimen und Verborgenen von einem Erben in jeder Generation an nur einen einzigen Schüler weitergegeben wurde. Dazu ist zu sagen, dass während der Edo-Zeit alle militärischen Aktivitäten strengstens durch das Bakufu (Shogunat) überwacht worden sind. Wenn es irgendwo auch nur Gerüchte von geheimen Versammlungen militärischer Natur gab, wurden sofort Spione entsandt und Maßnahmen ergriffen, um möglichen Rebellionen gegen die Regierung noch im Keim zu ersticken. Dies machte es so gut wie unmöglich für „geheime“ Schulen zu existieren. Denn, wenn eine dieser Schulen einen starken Schwertmeister hervorgebracht und dieser auch nur ein Duell im Namen seiner Schule gefochten hätte, wäre die geheime Ryūha, nicht mehr wirklich geheim gewesen.

Außerdem, was wäre denn der Nutzen einer geheimen Schule gewesen? Im feudalen Japan waren Schwertlehrer zwar angesehen, doch war dies nie ein weitläufig angestrebter Beruf, aufgrund des Berufsrisikos. Die Konkurrenz war groß und jeden Tag bestand das Risiko, dass ein Herausforderer die eigene Schule besiegte, was meistens mit einem Verlust vieler Schüler und der eigenen Existenzgrundlage, oder sogar dem eigenen Tod verbunden war. Man konnte sich außerdem den Lebensunterhalt als Schwertlehrer nur finanzieren, wenn man genügend Schüler hatte und um diese zu gewinnen war eine gewisse Reputation notwendig. Wäre die Schule geheim, hätte man weder Reputation noch Schüler. All die Geschichten welche von sagenumwobenen Schulen in entlegenen Bergregionen berichten, sind leider meistens nichts weiter als schöne Geschichten, die historisch nicht belegbar sind und von Leuten in der Vergangenheit erfunden wurden, um ihre eigene, selbsterfundene Tradition zu rechtfertigen. Deshalb gilt es beim Aussuchen einer Schule immer so gut wie möglich zu prüfen, ob diese Schule denn auch wirklich existierte oder bis in die heutige Zeit überlebte. Auch in Japan gibt es leider Leute, welche vorgeben, der letzte wahre Erbe einer alten Schule zu sein, welche irgendwann jedoch nur noch geheim überliefert wurde. Dieser Behauptung begegnet man meistens dann, wenn die vorgegebene Tradition in der Vergangenheit ausstarb und jemand versucht, mit dem Namen einer alten Schule in der heutigen Zeit Geld zu machen. Diese Art Hochstapelei schadet dem Ruf der Koryū im Allgemeinen, ist aber leider aufgrund der momentan herrschenden Rechtslage sehr schwer zu unterbinden. Es empfiehlt sich also immer den historischen Hintergrund einer Schule in Augenschein zu nehmen.

Wenn es einem darum geht, in eine starke Schule mit starken Techniken einzutreten und diese zu erlernen, sollte man nach den Ryūha Ausschau halten, welche in der Vergangenheit viele namenhafte Fechter hervorgebracht haben. Da ein Anfänger nur sehr schwer technische Qualität anhand von Enbu Videos etc. erkennen kann, sollte dieser Punkt unter allen Umständen berücksichtigt werden. Sollte man einfach eine Schule trainieren wollen, da einem die Bewegungsabläufe und Muster dieser Ryūha auf den ersten Blick zusagen, ist dies natürlich auch legitim. Es gibt definitiv nicht nur einen Weg zu einer starken Technik und muss nicht unbedingt schulabhängig sein. Man kann auch mit etwas Glück zu einer wunderbaren Ryūha finden indem man das nächstliegende Koryū-Dōjō besucht.

Als nächstes kommen wir zu einem der wesentlichsten Punkte: die Lehrer und die Mitschüler. Es ist weithin bekannt, dass nicht jeder Mensch gut mit jedem zurechtkommt. Man muss also versuchen, sich schnellstmöglich ein Bild zu machen, mit wem man von nun an seine Zeit verbringen wird. Am wichtigsten ist hierbei die Lehrer-Schüler- Beziehung. Sollte einem der Lehrer von der Art her nicht sympathisch sein oder man dessen Gesellschaft auf menschlicher Ebene nicht schätzen, so befindet man sich definitiv in der falschen Schule. Selbstverständlich ist auch wichtig, dass man sich gut mit einer Mehrheit der Schüler der Schule versteht. Streitigkeiten zwischen Schülern in einer Ryūha werden nie geduldet und schaden dem Lernfortschritt aller.

Man muss sich außerdem im Klaren darüber sein, wie viel man bereit ist zu geben. Es kommen immer wieder neue Schüler, klopfen an die Tore der Koryū und bitten um Aufnahme. Viele davon sehen in ihrem Training nicht mehr als ein nettes Hobby, mit welchem sie ihre Freizeit exotisch gestalten. Andere hingegen trainieren jede freie Minute außerhalb des Dōjō und bilden sich selbst sprachlich und geschichtlich weiter. Beide Schüler haben ihre Berechtigung und sollten im Dōjō willkommen sein. Allerdings sollte man sich vor Augen führen, dass die Schüler, welche mehr leisten als andere von den Lehrern normalerweise mehr gefördert werden und dadurch schnelleren Fortschritt machen.

Für Nichtjapaner, welche Koryū erlernen wollen, habe ich noch einen speziellen Ratschlag. Sucht nach Schulen, in welchen bereits Ausländer in hohen Positionen trainieren und welche eine weltoffene Einstellung vertreten. Japan und seine Koryū sind leider immer noch sehr rassistisch veranlagt. In manchen Schulen werden überhaupt keine Ausländer aufgenommen und in anderen werden keine hohen Lehrinhalte und Graduierungen an diese vergeben. Das muss zwar nicht die Regel sein, allerdings ist mir während meinem Aufstieg zum ersten nichtjapanischen Sōke einer Koryū einiges an Gegenwind entgegengeweht, und die Entscheidung meines Vorgängers ist nicht von allen Seiten willkommen geheißen worden. Manch ein Sōke oder Shihan hat sich schriftlich oder gar telefonisch an Ōtsuka Yōichirō Masanori-Sōke gewendet und dagegen mit dem „Argument“ protestiert, „japanische Koryū gehören den Japanern und müssen von diesen geführt werden.“ In meinem Fall besaßen sogar manche die Impertinenz zu äußern „Egal wie gut seine Technik ist, wie viel Wissen er hat, oder wie fließend er die Sprache spricht, ein Ausländer kann und darf niemals eine Koryū führen.“

Natürlich gab es auch viel Beifall und Gratulationen von anderen Ryūha und deren Vertretern, welche ein anderes weltoffenes Weltbild vertreten. Aber es sind wie gesagt noch viele Schulen mit einer etwas engstirnigeren Geisteshaltung unterwegs. Obwohl diese gar nicht wirklich historisch bedingt ist, sondern eher von mangelnder Bildung der japanischen Geschichte zeugt. Im feudalen Japan gab es immer wieder Nicht-Japaner welche in die Bushi-Klasse aufgenommen wurden und welche damit einen japanischen Namen verliehen bekamen. Berühmte Beispiele hier sind der Niederländer Jan Joosten van Loodensteyn, der Engländer William Adams und der Preuße Henry Schnell. Letzterer wurde in den Aizu-Clan aufgenommen und bekam sogar den Namen Hiramatsu Buhei durch den Fürsten des Clans, Matsudaira Katamori verliehen. Hiramatsu erhielt das Recht das Daishō (Schwertpaar) zu tragen, wurde mit einer japanischen Frau verheiratet und erhielt eine Residenz in der Schlossstadt des Aizu-Clans, Wakamatsu. Außerdem wurde ihm eine Gruppe von Bushi-Gefolgsleuten unterstellt.

Wenn man sich an diese Kriterien hält, wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schule finden, in der man sich relativ wohl und gut aufgehoben fühlt. Sollte diese nicht in nächster Nähe vorhanden sein, man aber wirklich etwas Authentisches lernen will, kann ich nur empfehlen das Reisen zur Wunschschule auf sich zu nehmen, sei es innerhalb Japans oder im Ausland. Es ist den Aufwand und das Geld definitiv wert.

Was ändert sich bei der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō mit Ihnen als neuer Sōke der Schule?

Ich habe nicht vor die Lehren oder Techniken der Hokushin Ittō-Ryū zu verändern, falls dass mit der Frage gemeint sein sollte. Eines meiner Ziele ist es, die Schule so originalgetreu wie möglich für zukünftige Generationen zu bewahren und an diese weiterzugeben. Die Techniken und Lehren haben sich über die letzten zwei Jahrhunderte als sehr stark und zuverlässig erwiesen, sei es im Gekiken-Shiai, sowie im Kampf auf Leben und Tod gegen andere Traditionen oder auf dem Schlachtfeld. Selbstverständlich werde ich mein Bestes geben, um meine eigene Technik stets weiter zu perfektionieren und fordere dies auch von den Schülern meiner Ryūha. Sich auf vergangenen Erfolgen der Schule auszuruhen, wäre definitiv falsch. Die Schule ist nur so stark wie ihre Mitglieder. Ohne starke Mitglieder ist sie schwach, auch wenn sie eine glorreiche Vergangenheit vorweisen kann.

Ich möchte deshalb den Fokus der Schule wieder mehr auf das Trainieren von Gekiken im regulären Unterricht legen. Im letzten Jahrhundert fokussierte sich die Hokushin Ittō-Ryū zunehmend auf Kata-Geiko, wobei das Gekiken-Geiko immer mehr an den Rand gedrängt wurde. Dies war nicht nur in unserer Ryūha so, und viele Schulen verloren deshalb ihr Gekiken zu dieser Zeit vollständig. Als Gekiken-Ryūha ist das Fechten von Shiai ein wichtiger Bestandteil unserer Tradition.

Was reguläres Taryū-Jiai, Shiai-Geiko gegen andere Traditionen betrifft, arbeiten wir hierfür seit nunmehr einem Jahr fest mit der Tennen Rishin-Ryū des Bujutsu-Hozonkai zusammen. Der Tennen Rishin-Ryū Bujutsu Hozonkai befindet sich unter der Leitung von Shihan und Menkyo-Kaiden der Schule, Katō Kyōji Sensei in Tōkyō, welcher einer der stärksten und talentiertesten Schwertmeister ist welche man heutzutage antreffen kann. Taryū-Jiai Geiko ist ein wichtiger Bestandteil in der Entwicklung eines jeden Kenshi und sollte unter keinen Umständen vernachlässigt werden. Unsere Zusammenarbeit mit der Tennen Rishin-Ryū weiß ich deshalb besonders zu schätzen. Es ist wundervoll, dass zwei Ryūha in einem freundschaftlichen Rahmen für Taryū-Jiai gegeneinander kämpfen und sich so durch die gewonnene Erfahrung gegenseitig bereichern und stärken können.

rechts: Katō Kyōji-Sensei, Menkyo-Kaiden der Tennen Rishin-Ryū und Oberhaupt des Tennen Rishin-Ryū Bujutsu-Hozonkai(rechts: Katō Kyōji-Sensei, Menkyo-Kaiden der Tennen Rishin-Ryū und Oberhaupt des Tennen Rishin-Ryū Bujutsu-Hozonkai)

Abgesehen davon möchte ich sehr stark in die Förderung von Personen mit außerordentlichem Talent und Können investieren. Dies war etwas, was Chiba Shūsaku-Sensei und die anderen Oberhäupter meiner Schule taten, um möglichst viele starke Meister hervorzubringen. Mit dieser Förderung war das Rekrutieren von potentiellen Schülern mit viel Potential, selbst aus den Reihen anderer Ryūha gemeint. Wenn zum Beispiel ein hochrangiges Mitglied einer Taryū die Hokushin Ittō-Ryū erlernen wollte, wurde ihm eine Spezialbehandlung zuteil. Zu allererst wurde sein Können in Kata und Shiai auf die Probe gestellt. Wenn er bereits umfassendes Wissen über Kampftaktiken und Techniken besaß, konnte bei solch einer Person gleich mit der Vermittlung der höheren Lehren angefangen werden. Die Lehren der Schule, welche am Anfang den Anfängern unterrichtet werden, wurden dieser Person nebenbei beigebracht. So konnte ein extrem schneller Fortschritt erzielt werden. Es gab Fälle, in denen hochrangige Mitglieder anderer Schulen innerhalb eines Jahres fähig waren, die Lehren der Hokushin Ittō-Ryū zu meistern und ihnen das Menkyo (Chū-Mokuroku) oder sogar das Menkyo-Kaiden (Dai-Mokuroku) verliehen wurde. Diese Förderung möchte ich so zum Wohle der Schule weiterführen. Sie schließt neben hochrangige Mitgliedern anderer Koryū selbstverständlich Mitglieder des modernen Kendōs sowie seriöser moderner Iaidō-Schule, wie beispielsweise der 1932 durch Nakayama Hakudō Hiromichi gegründeten Musō Shinden-Ryū mit ein.

Die Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō steht einem jeden offen, der die Lehren der Schule erlernen möchte. Ob Japaner oder nicht, Religionszugehörigkeit oder soziale Schicht spielen hierbei keine Rolle. Nur, dass ausnahmslos alle Schüler die Regeln der Schule strikt befolgen und den Namen der Schule durch schlechtes Verhalten nicht entehren. In der Hokushin Ittō-Ryū werden einem jeden Schüler die gleichen Chancen eingeräumt. Jeder kann ein Menkyo-Kaiden erhalten, wenn er die dafür erforderliche Technik, Philosophie, sowie das geschichtliche und schulspezifische Wissen besitzt. Hartes Training, das Studium der japanischen Tradition und Geschichte werden durch Sendai-Sōke Ōtsuka Yōichirō und mich immer unterstützt und gefördert. Letztendlich ist Können und Wissen alles, was eine gute Koryū wirklich ausmacht.

Die Bilder wurde freundlicherweise von Ōtsuka Ryūnosuke zur Verfügung gestellt.